Eva Neumann, Coach und Trainerin für Rhetorik und Teamkommunikation, war am 23. Juli 2003 zu Gast im Web-Studio von T-Online. Durch die halbstündige Sendung in Weiterstadt führte T-Online Moderatorin Melanie Aprin.
Aprin: Seit wann gibt es in Deutschland diese exzessive Meetingkultur?
Neumann: Seit Unternehmen gezwungen sind, sich neue Geschäftsfelder zu erschließen und neue Produkte zu entwickeln. Seit der Kunde nicht mehr automatisch kommt. Dann bilden sich Projektteams, um diese Produkte zu entwickeln, und so kommen Meetings zustande. Solche Gruppen setzen sich aus Leuten quer durch das ganze Unternehmen zusammen. Das läuft dann eben neben dem Tagesgeschäft. Je größer das Unternehmen, desto mehr Meetings finden statt.
Zuschauer: Warum ist die Meetingkultur so gewachsen? Es gibt doch auch die Möglichkeit, Dinge am Telefon zu besprechen?
Neumann: Eben gerade wegen dieser innovativen Projektarbeit. Für das laufende Tagesgeschäft, die "Standards", braucht man keine Meetings. Wenn man aber individuell ein Angebot auf den Kunden zuschneiden will oder schnell reagieren muss, kommt es zum Meeting. Die neuen Pläne und Ideen müssen untereinander abgestimmt werden. Übrigens Meetings sind nichts Neues - höchstens das Wort. Schon unsere Vorfahren aus der Steinzeit haben sich ums Lagerfeuer versammelt, um die nächste Jagd zu planen und das Überleben ihres Clans zu sichern.
Aprin: Würden Meetings so gut funktionieren, dass man sich trifft und am Ende wirklich schnell die neuen Ideen umsetzt, bräuchte man keine Coachs, die in die Unternehmen gehen und Führungskräften zeigen, wie man Meetings effektiver ausgestaltet. Was müssen Sie am häufigsten raten? Worin liegen die meisten Fehler?
Neumann: Wenn jemand für ein Projekt zuständig ist, in der Hierarchie aber nicht oben steht und sich erst mal Respekt verschaffen muss. Manche beklagen auch, dass sie zwar eine Führungsrolle haben, aber nicht weisungsbefugt sind und somit ohne Durchsetzungsvermögen. Wenn in einem Meeting keiner das Zepter in der Hand hält, ist es natürlich schwer, Ergebnisse zu erzielen.
Aprin: Führungskräfte, die nicht weisungsbefugt sind - ist das nicht in sich ein Widerspruch?
Neumann: Weisungsbefugt heißt, Mitarbeiter beurteilen und ihnen auch Anweisungen geben zu können. Stellen Sie sich vor, Sie müssen mit einem Abteilungsleiter zusammen arbeiten, sind aber selbst nur Teamleiter und trotzdem verantwortlich für das ganze Projekt. Das führt zu gewissen Rollenkonflikten.
Zuschauer: Wie gehe ich in einem Meeting mit Störenfrieden um?
Neumann: Die Fähigkeit, diplomatisch zu formulieren, könnte häufig noch entwickelt werden: Wie formuliere ich mein Anliegen so, dass der andere es auch annehmen kann? Störenfriede kontert man am besten, indem man Dinge nicht persönlich nimmt, die als Angriffe formuliert sind. Dann kann man einfach sachlicher reagieren. Es gibt auch spezielle Schulungen, in denen man lernt, wie man mit persönlichen Angriffen umgeht.
Aprin: Haben Sie einen konkreten Tipp parat?
Neumann: Man kann Mitteilungen auf mindestens zwei Arten verstehen - einmal auf die sachliche, bei der man den Tonfall ausblendet, und zum anderen auf eine persönliche Art. Das wird häufig verwechselt. Es ist Sache der Kommunikationsschulung, dies trennen zu lernen. Ein konkreter Tipp: Wiederholen Sie, was der Störer gesagt hat. Dann fühlt er sich im besten Fall verstanden, und Sie gewinnen Zeit, um nachzudenken. Außerdem beruhigt es die ganze Lage wieder.
Aprin: Sind viele Meetings eigentlich zu lang?
Neumann: Es gibt da eine Studie von Schell Marketing & Consulting in München, wonach der Durchschnitt in Europa bei 1,6 Stunden liegt. Jetzt überlegen Sie mal, wie lange man sich am Stück konzentrieren kann. Nach einer halben bis Dreiviertelstunde brauchen wir eine kurze Pause. Das Gehirn muss verarbeiten, was gelaufen ist, und muss einfach mal kurz zur Ruhe kommen. Die Doppelstunden in der Schule sind nach diesem Schema aufgebaut. Und so muss es auch bei Meetings sein. Interessant ist auch, sich mal anzugucken, wie viele Meetings in Europa durchgeführt werden.
Aprin: Ist Deutschland da führend?
Neumann: In Deutschland sind es durchschnittlich vier Meetings pro Woche, in England 3,1 und in Frankreich nur 1,6. Aber Quantität ist nicht gleich Qualität. Die Engländer bewerten - einer Umfrage von Lexmark zufolge - ihre Meetings wesentlich negativer als die Deutschen.
Aprin: Trotzdem hört man auch hier oft den Satz: "Ich muss schon wieder in ein Meeting!" Muss man eigentlich zu jedem Meeting hingehen?
Neumann: Das macht man am besten in Absprache mit der Führungskraft aus. Wenn das Ziel klar ist, sind die meisten Teilnehmer auch motiviert. Das Ziel muss aber vorher kommuniziert werden: Warum bin ich in diesem Meeting? Welche Ergebnisse soll das bringen? Welchen Einfluss hat das Meeting auf meinen Arbeitstag?
Aprin: Gibt es Untersuchungen, wie viel kreative Arbeitszeit Meetings verschlingen?
Neumann: Es gibt eine Untersuchung darüber, wie viel Zeit Mitarbeiter in Meetings verbringen. In der unteren Führungsebene sind es 25 Prozent. Die mittlere Führungsebene bringt es auf 50 Prozent und das obere Management verbringt zwei Drittel der Zeit in Meetings. Und da kann man sich - wenn man das Gehalt der Ebenen anguckt - ausrechnen, wie viel es kostet, wenn das Meeting nichts bringt.
Aprin: Wenn ein Unternehmen soweit ist, einen Coach zu engagieren, hat es dann erkannt, dass zuviel Arbeitszeit in Meetings verloren geht?
Neumann: Meistens ist das der Anlass. Viele gehen rein, und wenig kommt raus. Man möchte das einfach effizienter gestalten. Man muss die Kommunikation in einem Meeting beobachten. Redet jemand dauernd? Reden manche gar nicht? Gibt es da versteckte Rollenspiele? Wird wirklich was erarbeitet? Und werden die erarbeiteten Ergebnisse auch wirklich umgesetzt? Wenn nicht, dann ist es gut, einen externen Coach oder Moderator dazu zu holen.
Aprin: Vielleicht auch, weil der Prophet im eigenen Hause nichts gilt?
Neumann: Richtig. Wenn jemand beauftragt wird zu sagen, wir müssen uns jetzt kurz fassen, dann fällt das einem Externen leichter als einem, der als Kollege da sitzt.
Zuschauer: Wo liegt die Grenze zwischen einem Meeting als "Personalentwicklungsmaßnahme" und als "Plenum, etwas tot zu reden"?
Neumann: Wenn das passiert, stimmt etwas an der Vorbereitung nicht oder an der Klarheit des Ziels. Es gibt moderatorische Techniken, um die Gruppe trotzdem weiter zu einem Ergebnis zu führen: Wer tut was bis wann? Wer mit wem und wie? Ganz wichtig ist es auch, einen Rückblick auf das letzte Meeting zu geben. Nichts ist schlimmer, als wenn man etwas protokolliert hat, und es verschwindet im Papierkorb.